European Accessibility Act
1. Zielsetzung
Der Europäische Rechtsakt zur Barrierefreiheit (European Accessibility Act, EAA) zielt darauf ab, den Zugang zu zentralen Produkten und Dienstleistungen für Menschen mit Behinderungen und ältere Personen zu verbessern- und gleichzeitig den europäischen Markt durch einheitliche Barrierefreiheitsstandards zu stärken.
2. Rechtlicher Rahmen und extraterritoriale Wirkung in der Schweiz
Die rechtliche Grundlage bildet das Binnenmarktkonzept der EU, dabei wird Barrierefreiheit wird als Marktzugangsvoraussetzung verstanden. Zugleich steht der EAA im Einklang mit der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK), insbesondere mit deren Ziel, die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am gesellschaftlichen Leben sicherzustellen.
Unternehmen mit Sitz in der Schweiz sind nicht direkt an die EU-Richtlinie gebunden. Wer jedoch Produkte oder digitale Dienstleistungen an EU-Kundschaft anbietet, etwa im Online-Handel, im Finanzdienstleistungs- oder Transportsektor muss rechtskonform agieren, um weiterhin Zugang zum EU-Markt zu behalten. Aus diesen Gründen wird der EAA de facto extraterritorial wirksam, denn auch Schweizer Anbieter müssen ihre Websites, Apps oder E-Commerce-Portale barrierefrei gestalten.
3. Erfasste Produkte und Dienstleistungen
Der EAA gilt nicht für sämtliche Produkte, sondern für jene, die für Menschen mit Behinderungen besonders bedeutsam sind und gleichzeitig über starke Binnenmarktverflechtungen verfügen. Der EAA erfasst sowohl physische Produkte als auch digitale Dienstleistungen. Damit trägt er der fortschreitenden Digitalisierung Rechnung, die gerade für Menschen mit Behinderungen neue Chancen, aber auch neue Barrieren schafft.
Die erfassten Produkte und Dienstleistungen sind folgende:
- Computer und Betriebssysteme: Die Richtlinie erstreckt sich auf Hardwaresysteme für Universalrechner, die für Verbraucher bestimmt sind, wie etwa Desktops, Notebooks, Smartphones und Tablets. Die Systeme müssen so entwickelt sein, dass sie mit barrierefreien Betriebssystemen funktionieren. Nicht erfasst sind eingebettete Spezialcomputer, mit spezifischen Funktionen wie z.B. Hauptplatinen oder Speicherchips.
- Geldautomaten, Ticket- und Check-in-Automaten und interaktive Selbstbedienungsterminals: Berücksichtigt werden Geldautomaten, Ticket- und Check-in-Automaten und interaktive Selbstbedienungsterminals, sofern sie zur Erbringung barrierefreier Dienstleistungen beitragen. Zusätzlich wird die zugehörige Hardware als auch Software erfasst, ausgenommen sind fest in Fahrzeuge, Luftfahrzeuge, Schiffe oder Schienenfahrzeuge eingebaute Geräte.
-Elektronische Kommunikationsdienste: Einheitliche Anforderungen gelten auch für Telekommunikations- und Notrufdienste, darin sind Router, Modems oder interaktive Verbraucherendgeräte enthalten. Diese müssen so gestaltet sein, dass bei Videos zusätzlich zur Sprache auch Text und ein Gesamtgesprächsdienst in Echtzeit angeboten wird und dabei die Synchronisierung aller Kommunikationsmittel gewährleistet wird.
- Zugang zu audiovisuellen Mediendienste wie Fernsehsendungen und zugehörige Verbrauchergeräte: Dienste die den Zugang zu audiovisuellen Inhalten ermöglichen (z.B. Media-Player, Set-Top-Boxen oder internetbasierte Fernsehdienste), müssen so gestaltet sein, dass Nutzer/-innen mit Behinderungen ihre assistiven Technologien nutzen können.
- Dienstleistungen im Zusammenhang mit der Beförderung von Passagieren auf dem Luft-, Bus-, Schienen- und Wasserweg: Der EAA regelt die Bereitstellung von Informationen zum Verkehrsdienst, insbesondere Reiseinformationen und Ticketbuchungen. Dazu gehören Websites, elektronische Ticketdienste sowohl als auch interaktive Selbstbedienungsterminals für den Ticketkauf und Reiseinformationen.
- Bankdienstleistungen: Vom EAA wird geregelt, dass Zahlungsdienste, Identifizierungsmethoden, elektronische Signaturen und Zahlungsdienstleistungen den Barrierefreiheitsanforderungen entsprechen müssen.
- E-Books: E-Books müssen barrierefrei kodiert und strukturiert sein, um die Interoperabilität mit assistiven Technologien sicherzustellen. Besonderheiten von Werken wie Comics, Kinderbücher und Kunstbücher sollten auf alle Barrierefreiheitsanforderungen getestet werden.
- E-Commerce: Schliesslich umfasst der EAA auch den Online-Verkauf von sämtlichen Produkten und Dienstleistungen. Ziel ist die barrierefreie Gestaltung von E-Commerce-Angeboten, unabhängig davon ob das Produkt selbst unter die Richtlinie fällt.
4. Anforderungen an die Barrierefreiheit
Der EAA schreibt keine detaillierte technische Spezifikation vor, sondern legt funktionale Anforderungen fest. Unternehmen müssen sicherstellen, dass ihre Produkte und Dienstleistungen so gestaltet sind, dass sie von Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen genutzt werden können ohne zumutbare Erschwernisse oder Untersetzung durch Dritte zu benötigen.
4.1 Anforderungen bei Dienstleistungen
Die barrierefreie Gestaltung richtet sich nach dem internationalen Standard WCAG 2.1 Level AA. Nachfolgend werden die relevanten Kriterien dieses Standards erläutert.
Inhalte müssen so gestaltet sein, dass sie gut lesbar und optisch klar erkennbar sind. Dies umfasst eine ausreichend kontrastreiche Farbgestaltung, die Anpassung an unterschiedliche Bildschirmgrössen sowie die Möglichkeit die Schriftgrösse zu skalieren.
Die Bedienbarkeit verlangt, dass die Navigation und Steuerung eines Onlineshops oder einer Website mit sämtlichen üblichen Eingabegeräten möglich ist. Es muss eine vollständige Nutzung mittels Sprachsteuerung, Screenreader, Tastatur oder Maus gewährleistet sein.
Unter dem Aspekt der Verständlichkeit sind Informationen in einer klaren und einfachen Sprache bereitzustellen. Auf komplexe oder juristisch-technische Formulierungen sollte, soweit möglich verzichtet werden. Zusätzlich sollte eine Version in leichter Sprache angeboten werden, um den Zugang auch für Personen mit kognitiven Einschränkungen oder geringeren Sprachkenntnissen sicherzustellen.
Die Robustheit verlangt digitale Systeme und Webseiten so zu entwickeln, dass sie technisch stabil und mit gängigen assistiven Technologien kompatibel sind. Dies umfasst insbesondere die problemlose Nutzung durch Braillezeilen oder Screenreader-Software, sodass Inhalte unabhängig von der verwendeten Technik zuverlässig zugänglich bleiben.
4.2 Anforderungen bei Produkten am Beispiel des Deutschen Rechts
Die Vorgaben des European Accessibility Act (EAA) wurde in Deutschland durch das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG), welches am 28. Juni 2025 in Kraft getreten ist, umgesetzt. Das BFSG steht beispielhaft für die nationale Umsetzung der europäischen Richtlinie. Andere EU-Mitgliedstaaten haben vergleichbare Umsetzungsgesetze erlassen, die sich in Struktur und Zielsetzung weitgehend am europäischen Rechtsrahmen orientieren aber nationale Besonderheiten aufweisen können wie beispielsweise Sanktionen oder Marktüberwachungen.
Im Folgenden ein Überblick über die wesentlichen Bestimmungen des BFSG, mit denen die EU-Vorgaben des EAAs umgesetzt werden.
Die Barrierefreiheit von Produkten wird dann gewährleistet, wenn diese den harmonisierten Normen entsprechen, die im Amtsblatt der EU veröffentlicht wurden. §4 i.V.m. §3 der Barrierfreiheitsstärkungsverordnung (BSFGV) konkretisiert diese Anforderungen (https://bfsg-gesetz.de/bfsgv/4-bfsgv/). Demnach muss insbesondere die Bereitstellung von Informationen, die Produktverpackung und Gebrauchsanleitung, die Gestaltung der Benutzerschnittstelle sowie die Funktionalität der Produkte den jeweiligen Barrierefreiheitsanforderungen genügen. Massgebend für die konkrete Umsetzung ist laut §3 BFSG der Stand der Technik. Der Hersteller eines Produkts hat eine Reihe formeller Pflichten zu erfüllen. Die genauen Anforderungen an die Gestaltung von Benutzerschnittstellen und Funktionalität werden in §6 BFSG (https://bfsg-gesetz.de/6-bfsg/) aufgelistet. Ein Hersteller ist demnach verpflichtet, eine technische Dokumentation und ein Konformitätsbewertungsverfahren durchzuführen. Anschliessend ist eine EU-Konformitätserklärung auszustellen und eine CE-Kennzeichnung am Produkt anzubringen. Das Produkt muss ausserdem mit einer Seriennummer oder einer sonstigen Identifikationserkennung versehen werden.
5. Verpflichtungen der Unternehmen
Unternehmen sind verpflichtet, mit den zuständigen Marktüberwachungsbehörden zu kooperieren und auf Verlangen die erforderlichen technischen Unterlagen oder Prüfberichte zur Barrierefreiheit vorzulegen. Dazu gehören insbesondere technische Spezifikationen, Testergebnisse, Nachweise über die Einhaltung harmonisierter Normen sowie die EU-Konformitätserklärung. Stellt eine Behörde fest, dass ein Produkt oder eine Dienstleistung nicht den gesetzlichen Vorgaben entspricht, kann sie eine Nachbesserungsanordnung erlassen. Das betroffene Unternehmen ist verpflichtet, die festgestellten Mängel innerhalb einer Frist zu beheben, die vorgenommenen Änderungen zu dokumentieren und entsprechende Nachweise über die durchgeführten Korrekturmassnahmen zu erbringen. Das Unternehmen hat während dem gesamten Verfahren eine Kooperationspflicht, sie müssen zeitnah auf behördliche Anfragen reagieren, vollständige und wahrheitsgetreue Informationen bereitstellen und auf Verlangen zusätzliche Unterlagen einreichen.
6. Wirtschaftliche Auswirkungen
Der EAA verfolgt das Ziel, die Kosten für Unternehmen zu senken, indem er einheitliche Standards schafft. Statt individuelle nationale Vorgaben erfüllen zu müssen, können Produkte künftige europaweit vertrieben werden, wenn sie den harmonisierten Anforderungen genügen.
Kurzfristig kann die Umsetzung des EAA mit Investitionen und Kosten verbunden sein, insbesondere bei der technischen Umgestaltung von Webseiten, die barrierefreie Gestaltung von Zahlungssystemen oder die Integration von Assistenzfunktionen in Hardwareprodukten. Auf Dauer ist mit einem Wachstum des Marktes für barrierefreie Produkte und Dienstleistungen zu rechnen. Langfristig überwiegen die ökonomischen Vorteile durch den einheitlichen Standard welcher Markteintrittsbarrieren senkt und Entwicklungskosten reduziert. Barrierefreie Produkte und Dienstleistungen können zudem grössere Kundengruppen erreichen. Somit entsteht ein ökonomischer Anreiz, Barrierefreiheit als Innovations- und Qualitätsmerkmal zu begreifen.
Aus regulatorischer Sicht stärkt der EAA die Wettbewerbsgleichheit, da Anbieter auf dem EU- Markt alle denselben Anforderungen unterliegen. Dadurch wird Wettbewerbsverzerrung vermieden und der Schutz der Konsument/-innen unabhängig vom Herkunftsland des Anbieters gewährleistet.
7. Herausforderungen in der Praxis
Die praktische Umsetzung des EAA ist anspruchsvoll, insbesondere für Unternehmen, die bislang keine Barrierefreiheitsstrategie entwickelt haben. Herausforderungen ergeben sich vor allem in folgenden Bereichen:
- Technische Anpassungen bei bestehenden Systemen
- Prozessgestaltung für barrierefreie Kommunikation
- Schulung von Mitarbeitenden zur Sensibilisierung und Anwendung der neuen Anforderungen
- Dokumentationspflichten, um Rechtskonformität nachweisen zu können.
Mitgliedstaaten können vorsehen, dass kleine Unternehmen die Anforderungen nicht anzuwenden haben, wenn dies für sie eine unverhältnismässige Belastung darstellen würde. Kleinstunternehmen werden als Unternehmen mit weniger als 10 Beschäftigten und einem Jahresumsatz oder einer Jahresbilanzsumme von unter 2 Mio. Euro bezeichnet.
8. Konsequenzen bei Nichteinhaltung
Die EU-Richtlinie enthält selbst keine abschliessenden Sanktionsvorschriften, vielmehr hängen die Sanktionen von der nationalen Umsetzung ab, deswegen variieren Sanktionen stark zwischen Ländern. Für die Schweizer Anbieter gelten die Sanktionen der jeweiligen EU-Mitgliedstaaten. Konkrete Konsequenzen, lassen sich in der Praxis wie folgt strukturieren:
- Bussen: In nahezu allen Mitgliedstaaten sind Geldbussen vorgesehen, deren Höhe stark variiert je nach Schwere des Verstosses, Unternehmensgrösse und Dauer der Nichtkonformität.
- Marktbeschränkungen: Produkte oder Dienstleistungen, die nicht den Anforderungen des EAA entsprechen, können vom nationalen Markt ganz ausgeschlossen werden. In manchen Fällen kann die Bereitstellung des Dienstes untersagt oder ausgesetzt werden, bis die Barrierefreiheit sichergestellt ist.
- Klage- und Schadenersatzansprüche: In einigen Staaten (z.B. Niederlande und Irland) ist es möglich, dass Betroffene zivilrechtlich Klage erheben und Ersatz für Schäden verlangen, wenn ihnen durch die Einschränkung ein Nachteil entstanden ist.
Durch öffentliche Bekanntmachung eines Verstosses können die Reputationsschaden erheblich sein, insbesondere heutzutage wo Transparenz und Konsumentenvertrauen als zentrale Wettbewerbsfaktoren gelten. Geschäftspartner, Investoren oder Kunden können ihr Vertrauen verlieren oder die Zusammenarbeit beenden, insbesondere wenn Barrierefreiheit als strategische oder regulatorische Voraussetzung gilt.
9. Fazit
Die Anforderungen an die Barrierefreiheit steigen, während pauschale Lösungen und ungesicherte Systeme künftige nicht mehr ausreichen. Der EAA schafft einen verbindlichen Rechtsrahmen, der Transparenz und Zugänglichkeit im Binnenmarkt stärkt. Da der EAA dem Marktortprinzip unterliegt, richtet sich die Anwendbarkeit danach, ob die Produkte oder Dienstleistungen auf dem EU-Markt angeboten werden. Für die direkte Anwendbarkeit benötigt es in den jeweiligen Mitgliedstaaten eine nationale Umsetzung als Beispiel dient das Deutsche Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG). Unternehmen, die frühzeitig handeln, sichern sich nicht nur rechtliche Konformität, sondern Wettbewerbsvorteile in einem Markt, der Barrierefreiheit zunehmend als Standard versteht.
10. Unterstützung durch Lezzilegal
Die Umsetzung der Anforderungen des EAA erfordert ein systematisches Vorgehen. Wir unterstützen Sie Ihre Compliance- und Produktstrategie rechtssicher und wirtschaftlich effizient an die neuen Vorgaben anzupassen. Unsere Expertise umfasst:
- Rechtliche Analyse der betroffenen Produkte und Dienstleistungen
- Überprüfung und Anpassung interner Richtlinien und AGB